Zum Verweis des Geschädigten auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit

OLG Frankfurt, Urteil vom 30.05.2011 – 1 U 109/10

Nach der nunmehr gefestigten Rechtsprechung, des BGH, der der Senat folgt, kann der Schädiger den Geschädigten unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht gem. § 254 Abs. 2 BGB auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen „freien Fachwerkstatt“ verweisen, wenn er darlegt und gegebenenfalls beweist, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht, und wenn er gegebenenfalls vom Geschädigten aufgezeigte Umstände widerlegt, die diesem eine Reparatur außerhalb der markengebundenen Fachwerkstatt unzumutbar machen würden (Rn. 7)

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 25.2.2010 verkündete Urteil der 20. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main abgeändert. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin weitere 2.146,91 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.10.2008 zu zahlen. Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen, die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben die Klägerin zu 12%, die Beklagten als Gesamtschuldner zu 88% zu tragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerin zu 26%, die Beklagten als Gesamtschuldner zu 74% zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

1

Die Berufung der Klägerin ist zulässig und teilweise begründet. Die Beklagten sind gegenüber der Klägerin dem Grunde nach zum vollen Schadensersatz verpflichtet (nachfolgend A). Der Schaden ist allerdings niedriger als die – fiktiv abrechnende – Klägerin dies annimmt, weil sie sich nach § 254 Abs. 2 BGB auf die von den Beklagten ihrer Abrechnung zugrunde gelegten niedrigeren Stundenverrechnungssätze verweisen lassen muss (nachfolgend B).

2

A. Die Klägerin beanstandet mit der Berufung zu Recht, dass das Landgericht ihr dem Grunde nach nur einen Ersatzanspruch in Höhe von 80% des ersatzfähigen Schadens zuerkannt hat. Die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs tritt hinter dem Verschulden des Beklagten zu 1. beim Spurwechsel zurück.

3

I. Die Feststellung des Landgerichts, der Unfall beruhe auf einem sorgfaltswidrigen Fahrstreifenwechsel des Beklagten, bindet den Senat nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Die diesbezüglichen Rügen der Beklagten beschränken sich auf den Versuch einer eigenen Beweiswürdigung; dieser ist nicht geeignet, Zweifel an derjenigen des Landgerichts zu begründen.

4

II. Bei einem Zusammenstoß infolge des Spurwechsels eines Fahrzeuges ist grundsätzlich von der vollen Haftung seines Halters auszugehen; den anderen Verkehrsteilnehmer kann aber eine Mithaftung zumindest in Höhe der normalen Betriebsgefahr treffen, wenn er z. B. mit überhöhter Geschwindigkeit fährt oder den beabsichtigten Spurwechsel rechtzeitig erkennen kann, ohne darauf durch Abbremsen oder Ausweichen angemessen zu reagieren (vgl. Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 11. Auflage 2008, Rn 155 m. w. N.).

5

Für einen derartigen Ausnahmefall ist nichts festgestellt, vorgetragen oder ersichtlich.

6

B. Gegen die Bemessung des ersatzfähigen Schadens auf der Grundlage niedrigerer Stundenverrechnungssätze wendet sich die Klägerin im Ergebnis zu Unrecht.

7

I. Nach der nunmehr gefestigten Rechtsprechung, des BGH, der der Senat folgt, kann der Schädiger den Geschädigten unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht gem. § 254 Abs. 2 BGB auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen „freien Fachwerkstatt“ verweisen, wenn er darlegt und gegebenenfalls beweist, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht, und wenn er gegebenenfalls vom Geschädigten aufgezeigte Umstände widerlegt, die diesem eine Reparatur außerhalb der markengebundenen Fachwerkstatt unzumutbar machen würden (vgl. BGH NZV2010, 553; 554, 555; 555, 556; NJW2010, 2118; 606, 607 f.). Dies ist vom Tatrichter nach § 287 ZPO zu beurteilen.

8

II. Danach hat die Beklagte die Klägerin im Streitfall zu Recht auf niedrigere Stundenverrechnungssätze verwiesen.

9

1. Das Autohaus … bot für die Klägerin eine ohne Weiteres und mühelos erreichbare alternative Reparaturmöglichkeit. Die Werkstatt ist gut 7 km vom Wohnsitz der Klägerin entfernt und bietet unstreitig einen kostenlosen Hol- und Bringservice. Der Zeuge bietet der beklagten Versicherung ausweislich seiner glaubhaften Aussage keine Sonderkonditionen und hat mit jener keine vertragliche Vereinbarung etwa zur Abrechnung von Unfallreparaturen getroffen; es war und ist im Gegenteil unstreitig, dass die von dem Zeugen bzw. seinem Unternehmen liquidierten Stundensätze jedermann zugänglich sind.

10

2. Besondere Umstände, die eine Reparatur des streitgegenständlichen Blechschadens in der Werkstatt des Zeugen … als unzumutbar erscheinen lassen könnten, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Das Fahrzeug der Klägerin war zum Zeitpunkt des Unfalls knapp 5 Jahre alt, knapp 78.000 km gelaufen und nicht „scheckheftgepflegt“; vielmehr wies es zwei Vorschäden auf, von denen einer unrepariert bestand, der andere nicht in einer BMW-Vertragswerkstatt repariert worden war.

11

3. Die Reparaturmöglichkeit bei dem Zeugen ist als gleichwertig anzusehen. Die Beklagten haben hierzu auf S. 5 f. der Klageerwiderung (Bl. 60 f. d. A.) ausreichend vorgetragen. Der Klägerin ist indessen einzuräumen, dass sich das Landgericht mit ihren die Gleichwertigkeit betreffenden Rügen nicht auseinandergesetzt hat. Der Senat holt dies auf der Grundlage der Vernehmung des Zeugen … nach:

12

a) Es besteht kein Erfahrungssatz des Inhalts, dass eine markengebundene Fachwerkstatt generell über ein überlegenes know-how verfügt, insbesondere nicht, soweit es – wie hier – um die Reparatur reiner Blechschäden geht.

13

b) Bei dem Autohaus … handelt es sich nicht um eine Vertrauenswerkstatt der beklagten Versicherung, die dieser Sonderkonditionen gewährt.

14

c) Die Reparatur des streitgegenständlichen Blechschadens konnte nicht nur durch einen aktuell für das zu reparierende Fahrzeug geschulten Meister sachgerecht erfolgen.

15

d) Der Zeuge … hat glaubhaft bekundet, dass sein Unternehmen für die Reparatur von Blechschäden Original-Ersatzteile verwendet, weil diese nach seiner Erfahrung besser passen.

16

e) Die Gewährleistung des Autohauses … für seine Arbeiten ist gesetzlich geschuldet. Dass die Herstellergarantie für Ersatzteile vom einbauenden Unternehmen abhängt, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.

17

f) Eine Einschränkung von Garantien im Übrigen oder eine Erhöhung des merkantilen Minderwerts ist im Streitfall nicht ernsthaft zu besorgen. Der Wagen der Klägerin war schon älter und doppelt vorbeschädigt, ohne dass die Klägerin dies zum Anlass genommen hätte, eine BMW-Niederlassung mit der Reparatur zu beauftragen.

18

g) Der Umstand, dass das Autohaus … Lackierarbeiten an einen Subunternehmer vergibt, begründet für sich genommen keine Zweifel an der Gleichwertigkeit der Reparaturmöglichkeit. Insoweit war in der Berufungsverhandlung unstreitig, dass keineswegs jeder BMW-Vertragshändler über eine eigene Lackiererei verfügt, in der umfänglichere Arbeiten der streitgegenständlichen Art ausgeführt werden können. Der Zeuge hat glaubhaft geschildert, dass er mit seinem Subunternehmer seit mehreren Jahren erfolgreich zusammenarbeitet.

19

C. Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 1, 543 Abs. 2, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Dieser Beitrag wurde unter Autorecht abgelegt und mit verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.